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  • FAQs zu Jim Knopf

    Was sagen Sie zu dem Vorwurf „Jim Knopf“ sei rassistisch?

    Bärbel Dorweiler, Verlegerin: Michael Ende hat in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ mit großer Selbstverständlichkeit einen kleinen schwarzen Jungen zum Helden seines Buches gemacht, und so nennt er ihn auch im Text: „ein kleiner schwarzer Junge“.  Der Vorwurf, das Buch sei rassistisch, entzündet sich zumeist an der wörtlichen Rede von Herrn Ärmel zu Beginn des Buches: „‘Das dürfte vermutlich ein kleiner Neger sein‘, bemerkte Herr Ärmel und machte ein sehr gescheites Gesicht.“ Mit diesem Satz charakterisiert Michael Ende die Figur von Herrn Ärmel; der Satz gehört zu seiner Figurenzeichnung als Prototyp des (Spieß-)Bürgers, des ‚Untertans‘ in dieser Geschichte, der alles richtig machen will – und es doch so falsch macht.

    In dieser Szene, in der Jim Knopf als kleines Baby per Paketpost in Lummerland ankommt, reagieren alle Einwohnerinnen und Einwohner, wie es ihrer Charakterzeichnung entspricht: Der König gibt sich majestätisch, Lukas zeigt seinen Gerechtigkeitssinn und empört sich, dass jemand ein Baby einfach in einen Karton gesteckt hat, und Frau Waas freut sich über das kleine Baby, das sie warmherzig wie ein eigenes Kind zu sich nimmt.  

    In diesem vielschichtigen Spektrum an Reaktionen wird das kleine schwarze Baby überwiegend liebevoll angenommen; die mögliche Ablehnung wegen des äußerlichen Andersseins scheint in der Reaktion von Herrn Ärmel auf. 

     

    Warum streichen Sie nicht einfach diesen oder andere diskriminierende Begriffe?

    BD: Grundsätzlich haben die Autorinnen und Autoren die Hoheit über ihre Texte; das bringt der urheberrechtliche Schutz mit sich. Kein Verlag kann und wird ohne Rücksprache und Zustimmung der Autor:innen oder seiner Erb:innen in einen Text eingreifen.

    Für uns als Verlag ist die Gesamtaussage eines Werkes entscheidend: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ist eine märchenhafte Abenteuererzählung, in der Michael Ende einen kleinen schwarzen Jungen zu seinem Helden macht. Gemeinsam mit seinem väterlichen Freund, Lukas dem Lokomotivführer, befreit er eine bunte Gruppe von Kindern unterschiedlichster Herkunft aus der Herrschaft des bösen Drachen Frau Mahlzahn. Damit schreibt Michael Ende auch eine Gegengeschichte zur nationalsozialistischen Rassenideologie, wie Julia Voss in „Darwins Jim Knopf“ überzeugend dargelegt hat.

    Es ist Herr Tur Tur, der Scheinriese, der Jim Knopf und Lukas sowie den Leserinnen und Lesern erklärt, wie Diskriminierung aus Vorurteilen entsteht:

    „‘Eine Menge Menschen haben doch irgendwelche besonderen Eigenschaften. Herr Knopf, zum Beispiel, hat eine schwarze Haut. So ist er von Natur aus und dabei ist weiter nichts Seltsames, nicht wahr? Warum soll man nicht schwarz sein? Aber so denken leider die meisten Leute nicht. Wenn sie selber zum Beispiel weiß sind, dann sind sie überzeugt, nur ihre Farbe wäre richtig und haben etwas dagegen, wenn jemand schwarz ist. So unvernünftig sind die Menschen bedauerlicherweise oft.‘“

    Hier zeigt Michael Ende das Denkmuster, das hinter Rassismus und Diskriminierung steckt, und prangert es an: man darf jemanden nicht nach seinem Äußeren, nach seiner Hautfarbe beurteilen. Und er zeigt an Jim Knopf und Lukas, dass man anders handeln kann und muss: vorurteilsfrei, respektvoll anderen Menschen und Kulturen gegenüber; ja, er geht sogar so weit, dass das ‚Böse‘, personifiziert im Drachen Frau Mahlzahn, zum Guten transformiert werden kann. 

    Deswegen sind wir überzeugt, dass Kinder "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" lesen sollten:
    Michael Ende thematisiert in diesem Kinderbuch das Anderssein und die Gefahr, deswegen ausgeschlossen zu werden. Er lässt seine Leserinnen und Leser einen kleinen schwarzen Jungen kennen lernen, der gemeinsam mit seinem Freund Lukas diese und andere Gefahren überwindet und zum echten Helden wird.

     

    Finden Sie die Illustration von Jim Knopf im Jahr 2020 noch zeitgemäß?

    BD: Es zeichnet F.J. Tripps Illustrationsstil sowohl in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ als auch in anderen Büchern aus, dass er seine Figuren so stark überzeichnet, dass sie beinahe zu Karikaturen werden. So wird aus dem Lokomotivführer Lukas eine fast kreisrunde Gestalt, auf dessen schulterbreitem Kopf eine aberwitzig kleine Lokführermütze sitzt. Ebensolche Karikaturen sind König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte – mit königlich-rotem Bademantel, Hausschuhen und Krone, sowie seine Untertanen Herr Ärmel – mit Schirm, Mantel und Melone – und Frau Waas – rund und rotbackig und mit Schürze. Auch die Figur Jim Knopf ist so überzeichnet. F.J. Tripp stellt in seinen Zeichnungen die Freundschaft zu Lukas symbolhaft dar: Jim Knopf hat wie sein väterlicher Freund ein quergelegtes Oval als Kopf, dieselben kugelrunden Augen, eher abstehende Ohren und einen breiten Mund. Es sind die übertrieben dicken Lippen, die den Betrachter an böswillige Karikaturen erinnern. Natürlich ist Tipp darin Kind seiner Zeit; er zeigt Jim Knopf aber nie als ausgegrenzt: Jim Knopf steht als Held des Buches mitten im Geschehen, und zumeist an der Seite seines Freundes Lukas, der ihn liebevoll beschützt.

     

    Wie stehen Sie zu den rassistisch konnotierten Klischees in „Jim Knopf“?

    BD: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ ist zu einem Kinderbuchklassiker geworden, weil hier eine Geschichte erzählt wird, die Menschen berührt, die Generationen von Leserinnen und Lesern geliebt haben und lieben. Zugleich trägt dieses Buch, wie andere Klassiker häufig, die Zeichen der Zeit, in der sie geschrieben wurden. Michael Ende ist, wie jede/r Autor:in, in seinem Sprachgebrauch auch Kind seiner Zeit. Er schafft mit seinem Werk etwas ganz Neues, aber der Raum, in dem er sich bewegt, ist geprägt von gesellschaftlichen Konventionen, die zum Teil nicht mehr die unseren sind. So kann eine Diskrepanz entstehen: eine geliebte und beliebte Geschichte trägt auch Elemente sprachlicher Konventionen, stereotyper Rollenbilder oder anderer Zuschreibungen in sich, von denen wir uns in unserer Gesellschaft inzwischen wegentwickelt haben oder uns wegentwickeln wollen. Aus diesem Grund verfolgen wir die aktuelle Diskussion um Sprache und Gesellschaft, um strukturellen Rassismus sehr genau. Die Vorwürfe, Jim Knopf sei rassistisch, machen uns durchaus betroffen.

     

    Zum Hintergrund: Kann ein Verlag Texte an heutige Lesegewohnheiten anpassen?

    BD: Die Antwort auf diese Frage wird sich immer zwischen zwei Extrempositionen bewegen: 
    Wenn man die Autorin/den Autor als Schöpfer eines Kunstwerkes und den Text als sein einzigartiges Werk ins Zentrum stellt und als zentralen Wert begreift, dann sollte an diesem einzigartigen Werk so wenig wie möglich verändert werden. Mit dieser Haltung geht die Erwartung einher, dass die Leserinnen und Leser sich kundig machen: schließlich können sie so nicht nur die Geschichte genießen, sondern an der Geschichte auch ihren Horizont, ihren Wortschatz, ihr Weltwissen erweitern. Bei Kinderbüchern bedeutet es, dass den vorlesenden Eltern oder Erwachsenen die Rolle zukommt, das Gelesene einzuordnen und zu erklären, bzw. wenn ein Kind das Buch selbst liest, mit ihm darüber ins Gespräch zu gehen.

    Stellt man hingegen die Leserin oder und den Leser ins Zentrum, durch dessen Lesen sich die Bedeutung des Textes erst konstituiert, dann sollte alles, was es der Leserin oder dem Leser, in diesem Falle der Vorleserin/dem Vorleser oder dem Kind, schwer macht, sich den Text zu erschließen, angepasst werden, auf dass die Rezeption ungebrochen fortgesetzt werden kann. Daraus resultiert die Forderung, in Kinderbüchern veraltete Begriffe zu ersetzen, aber auch Handlungen, die nicht unseren heutigen Vorstellungen davon entsprechen, was gesellschaftlich richtig und wünschenswert ist, zu streichen oder zu ersetzen.

    Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir uns als Verlag, wenn wir uns die Frage stellen, ob der Text eines Klassikers angepasst werden soll. Im Spannungsfeld zwischen Werktreue und Leserorientierung können wir kaum beides gleichzeitig tun: den Text des Klassikers in seiner ursprünglichen Form bewahren und ihn neuen Generationen leicht zugänglich machen. Deswegen versuchen wir immer, eine dem jeweiligen Text angemessene Lösung zu finden und sie dann in Absprache mit der Autorin/dem Autor oder ihrem/seinem Nachlass umzusetzen.